Charlotte Uetrechts Forschungsgruppe
Wir konzentrieren uns auf die Assemblierung von Norovirus-Partikeln und die Replikationskomplexe von Coronaviren. Die zugrunde liegende strukturelle Dynamik untersuchen wir mithilfe modernster struktureller Massenspektrometrie. Darüber hinaus entwickeln wir massenspektrometrische Techniken, um die strukturelle Auflösung zu verbessern und Einzelmolekülbildgebung an Röntgen-Freie-Elektronen-Lasern zu ermöglichen.
Die Arbeitsgruppe betreibt zudem das Labor Dynamik viraler Strukturen am CSSB Centre for Structural Systems Biology in Hamburg, wird sowohl durch das Deutsche Elektronen-Synchrotron DESY kofinanziert als auch ihm affiliiert und ist zudem dem Leibniz-Institut für Virologie (LIV) verbunden.
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Bisherige und aktuelle Forschung
Unsere Forschung ist stark interdisziplinär und bewegt sich an der Schnittstelle von Biologie und Physik. Wir entwickeln strukturmassenspektrometrische Methoden (MS) weiter, um virologische Fragestellungen mit hoher Relevanz für die menschliche Gesundheit zu beantworten. Dies spiegelt sich auch darin wider, dass die Gruppenleitung sowie mehrere Gruppenmitglieder zusätzlich dem Leibniz-Institut für Virologie (LIV) affiliiert sind.
Unser Hauptinteresse gilt der Struktur und Dynamik viraler Proteinkomplexe, mit dem Ziel zu verstehen, wie diese komplexen molekularen Maschinen funktionieren. Wir konzentrieren uns auf die Replikations-/Transkriptionsmaschinerie von RNA-Viren, insbesondere Coronaviren, die häufig in vielen unterschiedlichen Zuständen vorliegen, um eine Vielzahl biologischer Funktionen zu ermöglichen. Darüber hinaus interessieren wir uns für die Assemblierung viraler Partikel, bei der niedrig-abundante Zwischenzustände zwar für die Wirkstoffentwicklung relevant sind, aber aufgrund ihrer Instabilität nur schwer zu untersuchen. Diese Arbeiten fokussieren sich insbesondere auf Noroviren, wichtige humanpathogene Erreger, für die es bislang keine präventiven Behandlungen gibt. Für die Untersuchung der Kapsidassemblierung eignen sich insbesondere Single-Particle-ähnliche Methoden, um strukturelle Informationen abzuleiten.
Strukturmassenspektrometrie gewinnt zunehmend an Bedeutung, da sie nur geringe Probenmengen benötigt und sich für Automatisierung eignet, wodurch systematische Untersuchungen struktureller Dynamiken möglich werden. Wir nutzen und entwickeln MS-basierte Techniken, um koexistierende Zustände zeitaufgelöst zu analysieren und verfolgen dabei komplementäre Ansätze:
- grundlegende strukturelle Informationen durch strukturmassenspektrometrische Methoden,
- Strukturmodelle in Lösung durch native Top-Down-MS und
- hochauflösende Gasphasenstrukturen mit Röntgen-Freie-Elektronen-Lasern (XFEL).
In den beiden letzteren Fällen ermöglichen unsere MS-basierten Systeme die gezielte Auswahl spezifischer transienter Zustände. Dies umfasst zudem die Nutzung verschiedener Lichtquellen in Hamburg, darunter PETRA III, FLASH I/II und der European XFEL.
Im Bereich der strukturmassenspektrometrischen Methoden verfügen wir über etablierte native MS und HDX-MS (Hydrogen/Deuterium Exchange Mass Spectrometry) mit mehreren Protokollen, die auf unterschiedliche Fragestellungen zugeschnitten sind. Beide Methoden ergänzen sich: Native MS liefert Informationen über die Dynamik quartärer Assemblierungen, während HDX-MS lokale strukturelle Veränderungen sichtbar macht.
Die Forschung zu Coronaviren ist erneut in den Mittelpunkt gerückt. Wie oben erwähnt, verändern die nicht-strukturellen Proteine (nsps) von Coronaviren während der Infektion dynamisch ihre Struktur und Funktion – unter anderem vermittelt durch posttranslationale Modifikationen (PTMs). Mit unseren nativen Top-Down-MS-Ansätzen hoffen wir, Struktur und PTMs miteinander in Beziehung setzen zu können, was mit anderen Methoden nur schwer möglich ist.
Wir exprimieren nsps mit dem Ziel, größere Proteinkomplexe zusammenzusetzen. Der Vergleich bakterieller und eukaryotischer Expressionssysteme sowie verschiedener viraler Spezies soll Aufschluss darüber geben, wie PTMs die Assemblierung beeinflussen. In der nativen MS kann enzymatische Aktivität direkt beobachtet werden, während gleichzeitig sichtbar wird, wie Komplexe zwischen unterschiedlichen Assemblierungszuständen wechseln – wie dies bereits für die virale Protease bei der Prozessierung regulatorischer Polyproteinabschnitte gezeigt wurde.
Bei Noroviren konzentrieren wir uns auf die viralen Kapside und darauf, wie deren Struktur über den gesamten viralen Lebenszyklus hinweg bestimmt und verändert wird. Derzeit arbeiten wir hauptsächlich mit virusähnlichen Partikeln (VLPs) und bauen auf unserer früheren Arbeit zu partiellen Kapsidproteinen, insbesondere dem P-Dimer, auf. Dabei konnten wir mithilfe nativer MS und HDX-MS das unterschiedliche Verhalten verschiedener Isolate aufzeigen.
Durch den Einsatz von HDX-MS lässt sich lokalisieren, welche strukturellen Veränderungen in den Partikeln auftreten, wenn sie mit Anheftungsfaktoren interagieren. Auf diese Weise hoffen wir zu entschlüsseln, wie humane Noroviren in Zellen eindringen und warum deren Kultivierung in Zellkultur so schwierig ist.
Unsere Arbeiten an viralen Kapsiden werden zudem erheblich von Single-Particle-Imaging am European XFEL sowie den Entwicklungen im EU-FET-OPEN-Projekt MS SPIDOC profitieren.
Ein Virus-Fotoshooting – im Comic-Stil erzählt
Norovirus Superstar gibt Einblicke in das EU-geförderte Projekt MS SPIDOC und erklärt, wie der European XFEL in der Biologie eingesetzt wird.
© 2021 Véro Mischitz | MS SPIDOC, CC BY ND 4.0 doi:10.22003/XFEL.EU-COMIC-2021-001-EN
SPIDoc's – Die nächste Generation von MS SPIDoc's
MSCA-Doktorand*innennetzwerk
Aufbauend auf dem MS-SPIDOC-Projekt koordiniert unsere Gruppe das Doktorandennetzwerk SPIDoc’s – The next generation MS SPIDoc’s, ein Marie Skłodowska-Curie Actions (MSCA) Doktorand*innennetzwerk, das zehn Promotionsprojekte umfasst. Ziel ist ein vertieftes Verständnis der dynamischen Natur viraler Strukturen auf verschiedenen Ebenen – von der Zusammensetzung und Form von Proteinkomplexen bis hin zur elektronischen Struktur einzelner Untereinheiten. Die SPIDoc’s-Projekte nutzen modernste Ansätze, die native Massenspektrometrie, Röntgenstrahlung für Single Particle Imaging (SPI) und Molekulardynamik-Simulationen kombinieren.
SPIDoc’s startete im September 2023 und bietet ein einzigartiges Ausbildungsprogramm mit Promotionsprojekten an sechs Standorten sowie interdisziplinärer und intersektoraler Expertise der teilnehmenden Einrichtungen und assoziierten Partner:
Begünstigte: Universität Siegen, Vrije Universiteit Amsterdam, Deutsches Elektronen-Synchrotron (DESY), University Claude Bernard Lyon 1, Uppsala University, Institute of Microbiology of the Czech Academy of Sciences, Spectrometry Vision B.V.
Assoziierte Partnerinstitutionen: Universität Greifswald, Fasmatech Science & Technology, University of Manchester, Charles University in Prague, Evotec SE, Stanford Linear Accelerator Center, European Molecular Biology Laboratory (EMBL-EBI), European X-ray Free-Electron Laser GmbH
Zukünftige Projekte und Ziele
Um ein tiefgehenderes Verständnis des viralen Lebenszyklus zu erlangen, möchten wir von der in vitro-Assemblierung von Proteinkomplexen und Viruspartikeln zu umfassenderen Ansätzen übergehen. Daher werden wir künftig mit intakten murinen und humanen Noroviren arbeiten und zusätzlich endogene Coronavirus-Komplexe aus infizierten Zellen untersuchen.

